Inge Meyer-Dietrich
Schriftstellerin

Bin noch unterwegs

Roman

Als Lauras Eltern den Zettel auf dem Küchentisch finden, ist Laura längst weg. Mit dem Zug unterwegs in eine andere Stadt. Wo sie niemand kennt, wo sie aber auch niemand mehr so enttäuschen kann. Doch dann taucht der geheimnisvolle Aki auf und aus ihrer Reise ins Ungewisse wird für Laura eine Reise zu sich selbst.

© 2008 Ravenburger Buchverlag
ISBN 978-3-473-35282-1
Hardcover, 224 Seiten
Ladenpreis € 12,95
Empfohlen für Jugendliche ab 13 Jahren — ab Klasse 7

Thematik

Erste Liebe, Freundschaft, Familienkonflikte, erwachsen werden

Hörprobe

aus meiner Lesung in der Stadtbibliothek Gelsenkirchen
www.reviercast.de, 2008

Leseprobe

Essen oder Dortmund? In beiden Städten, jedenfalls in den Zentren, kannte ich mich einigermaßen aus. Die Regionalbahn nach Essen kam zuerst. Also stieg ich ein, denn es wurde höchste Zeit, einen Schlafplatz für die Nacht zu finden. Eine Bleibe, wie Juli es genannt hatte.
Ein Segen, dass mir die Idee mit der Flucht von zu Hause nicht im Winter gekommen war. Da wäre es um diese Zeit längst dunkel gewesen. Obwohl ich andererseits im Dunkeln leichter hätte untertauchen können. Solche Gedanken schossen mir durch den Kopf, während ich im Abteilgang bei meinem Fahrrad stehen blieb. Den Rucksack nahm ich gar nicht erst ab. Die Fahrt dauerte ja nur eine Viertelstunde. Mein Handy hatte ich auf lautlos gestellt, für den Fall, dass meine Eltern noch einmal probieren sollten mich anzurufen.
Den Typen mir gegenüber, der mich ab und zu musterte, versuchte ich zu ignorieren. Ich war es gewohnt, dass Jungs mich anstarrten oder mir hinterherpfiffen. Ich sehe nicht gerade hässlich aus. Aber vielleicht guckte der Typ mich nur deshalb so an, weil er Zeitung gelesen und mich wiedererkannt hatte? Immer wieder spürte ich seine Blicke. Ich fing an zu schwitzen. Die kurze Fahrstrecke kam mir endlos vor.

Als ich in Essen ausstieg, wollte er mir mit dem Rad helfen. "Geht schon", wehrte ich ab.
"Aber zu zweit geht es leichter." Er hatte ein offenes Lachen und wache dunkelbraune Augen, war vielleicht einen halben Kopf größer als ich und ziemlich schlank. Ich schätzte ihn auf Anfang zwanzig. Und staunte über mich selbst, weil es mich dann doch nicht störte, dass er schweigend an meiner Seite blieb. Die Angst, dass er in mir das von zu Hause abgehauene Mädchen erkannt haben könnte, war schnell verflogen.
"Wo musst du denn hin?", fragte er, nachdem wir kurze Zeit später die Bahnhofshalle durchquert hatten.
"Weiß nicht", antwortete ich wahrheitsgemäß.
Erstaunt sah er mich an und ich setzte schnell nach: "Bin sozusagen auf der Durchreise. Werde mich gleich mal nach einer billigen Unterkunft umgucken. Tschüs!"
Wie konnte ich bloß so total bescheuert daherreden? Ich hatte nur noch Fluchtgedanken. Wollte schon auf mein Rad steigen.
"He, warte mal!"
Zögernd blieb ich stehen.
"Da kann ich dir was organisieren. Privat."
Ich schüttelte den Kopf. Was glaubte der denn?
"Nicht, was du denkst", sagte er ernst. "Ist 'ne WG. Im Moment sind wir zu viert. Paul, Stefan, Manu und Aki." Er grinste. "Aki bin ich."
"Und ich bin Laura."
"Also - kommst du mit?"
Sollte ich? Sollte ich nicht? Ich nickte langsam. Ganz wohl war mir nicht. Irgendwo in meinem Hinterkopf lauerte noch immer der Satz aus meiner Kindheit, dass man mit fremden Männern nicht mitgehen soll. Andererseits grauste mir davor, ein Zimmer zu suchen. Zumal ich befürchtete, dass ein misstrauischer Vermieter mich der Polizei melden könnte.
Und war ich nicht sowieso schon mehr als einen Schritt zu weit gegangen? Mit meiner Flucht von zu Hause, dem Einbruch in Bettys Wohnung und der Tatsache, dass ich die Schule von heute auf morgen geschmissen hatte?
Meine alten Maßstäbe galten nicht mehr.
Aki lächelte mich an. Er sah nicht gerade wie ein Vergewaltiger aus.
"Mein Rad steht hier um die Ecke." Aki lotste mich durch das Feierabendgewühl. Sein Fahrrad war eine echte Antiquität, wahrscheinlich vom Flohmarkt. Oder vom Urgroßvater geerbt.
Was hatte ich mir bloß dabei gedacht, mich als Touristin auszugeben? Immerhin war mir für die kommende Nacht ein Schlafplatz sicher. Morgen würde ich weitersehen.

Besprechungen

I. Meyer Dietrich hat eine gute authentische Geschichte verfasst; es ist die Suche nach sich selbst, nach dem eigenen Leben, aber auch nach Nähe und Zärtlichkeit, die jugendliche Leser sehr anspricht. Empfehlenswert, ab 14
Mikepoor, Kundenrezension bei amazon, 5.10.2008

Laura muss in diesem Buch mit ziemlich vielen zwischenmenschlichen und sozialen Problemen kämpfen. Die Autorin versteht es, die selbständige Lösung der Schwierigkeiten in den Vordergrund zu rücken, dem Leser genügend Freiraum zu lassen, sich mit den Protagonisten zu identifizieren oder Dinge nachzuvollziehen. Gleichzeitig ist das Buch flott und ansprechend geschrieben, aus dem Leben gegriffen, ohne belehrend zu sein.
CJM Hessen in: Arbeitsgemeinschaft Jugendliteratur & Medien der GEW, 2008 (Link nicht mehr verfügbar)

Der Jugendroman schildert das Leben einer gut bürgerlichen, „harmonischen“, Familie mit brüchiger Fassade. Laura, die Tochter des Hauses, fühlt sich mit ihren Sorgen und Anliegen allein gelassen: Sie ergreift die Flucht, ohne zu wissen wohin. Sie taucht für ein paar Wochen unter und nimmt dadurch eine durchaus sinnvolle Loslösung von ihrem Elternhaus vor. Nach einigen Umwegen findet sie aber dennoch einen Weg, ...
Ein spannend geschriebenes Jugendbuch, sprachlich und inhaltlich sehr ansprechend gestaltet, das keinem gängigen Klischee folgt.
Edda Dietsch, Pädagogisches Zentrum Rheinland-Pfalz, 2008

Ein schöner, erfrischender Jugendroman.
Einsatzmöglichkeiten: Büchereigrundstock
Bewertung: Sehr empfehlenswert
CJM Hessen: Arbeitsgemeinschaft Jugendliteratur und Medien der GEW, 2008 (Link nicht mehr verfügbar)


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